Schönhaarige, Lauthalsige, Waschversessene: Auf den Spuren der Nixen

Kat Menschik: Die Nixen und ich
Die erste Nixe bekam ich zu Gesicht, als ich zwölf Jahre alt war. Damals musste ich beim Flugzeugspielen üblicherweise das Gepäck darstellen, während die anderen Kinder Pilot und Stewardess (verliebt natürlich) oder immerhin Passagiere sein durften. Ich lag unter dem Klettergerüst und rührte mich nicht (Gepäck bewegt sich nun einmal nicht).

Dann sah ich die Nixe, es war eine kinderliebe Nackttitte, auf mich zukommen. Sie reichte mir eine Handvoll Malstifte und einen Zeichenblock. Damit wurde alles gut.
Zu meinem dreißigsten Geburtstag bekam ich die unillustrierte und unscheinbare DDR-Ausgabe der Nixen von Estland geschenkt, an die sich niemand mehr erinnerte. Nach der Lektüre wurde mir klar, dass es meine Aufgabe sein würde, mich bei den freundlichen Nixen zu bedanken, indem ich ihnen Gesichter verleihen und ihre Gewohnheiten und Lebensbedingungen illustrieren würde.
Zwei Jahre danach erschien die Erstauflage dieses Buches. Nun, 22 Jahre und ein halbes Arbeitsleben später, wird es, mein allererstes Buch überhaupt, im Rahmen des vierzigsten Geburtstages der ANDEREN BIBLIOTHEK neu aufgelegt. Ich könnte glücklicher und dankbarer nicht sein.
Damals war ich jung und fast gänzlich unbekannt. Dieses mein Herzensbuch zeigt mir bis heute, wie viele Menschen mich gefördert, an mich geglaubt und mir eine große Chance gegeben haben. Einer von ihnen sprach auf meinen Anrufbeantworter:
»Mein Name ist Hans Magnus Enzensberger, Sie werden mich nicht kennen, aber ich möchte ein Buch mit Ihnen.«
Diesen Satz zitiere ich immer wieder fröhlich, wenn ich nach meiner Laufbahn gefragt werde. Dieser Satz hat die Tür in mein jetziges Leben weit geöffnet. Ein Leben voller Bücher, die ich illustrieren darf.
Das geht nun schon seit 22 Jahren so und es sieht nicht danach aus, als würde ich in absehbarer Zeit damit aufhören. Ich danke allen Beteiligten von damals und gratuliere aufs Herzlichste zum Jubiläum!

Ein wenig Nixenkunde






























Florian Illies: Über die Verführungskunst Kat Menschiks
Wahrscheinlich kann man nur so eine Nixe einfangen: Man muss wissen, dass es sie gibt. Kat Menschik ist Realistin genug, um nicht den naiven Weltflüchtigen zu vertrauen, die uns weismachen wollen, die Welt sei nur das, was im Brockhaus ist.
Wer sich auf ihren zeichnerischen Spuren auf den Weg gemacht hat, im Schilf und am Strand, in Estland und anderswo, der kann keinen Zweifel mehr daran haben, dass es sich bei diesem Werk nicht um Belletristik handelt und bei ihren Bildern nicht um Traumdeuterei.
»Die Nixen von Estland« ist ein Bestimmungsbuch, ein klassisches Werk der Biologie, wenn auch aus der ANDEREN BIBLIOTHEK. Aus der Abteilung, in der auch ein wenig getanzt wird auf den Geheimnissen der Evolution.
Es gibt die eine Ebene der Erzählung, das ist das Buch Enn Vetemaas, der freie, gelassene Erzählstil eines estnischen Autors auf Nixenjagd. Doch dann gibt es die andere, die in diesem Band manchmal sogar die Oberhand gewinnt, das ist die souveräne Erzählweise der Zeichnerin, die mit großem Atem über das ganze Buch hinweg in ihren Zeichnungen immer wieder abschweift und ausschweift, loslacht, verlangsamt und wieder beschleunigt, zurückschaut und nach vorn stürmt, getragen von dem Vertrauen in die große Kraft der eigenen Zeichensprache.

Kat Menschik spießt die Nixen auf wie Schmetterlinge und zeigt sie in ihrer ganzen Pracht. Aber manchmal sind sie auch nur hässliche Insekten. Oder Geschöpfe mit gehörigen Macken. Aber warum sollte es den Nixen besser gehen als den Menschen, natürlich haben auch Nixen Pickel und Liebeskummer und auch ein bisschen Angst, so erzählt ihr gelassener Strich.
Dieses Malerbuch beginnt mit dem, was man braucht, um Nixen zu beobachten. Festes Schuhwerk: denn man muss weite Wege gehen. Rucksack mit Thermoskanne: denn man muss lange warten können. Bleistift und Block: denn man muss am Ende nicht nur seinen Augen trauen können. Was man aber künftig immer ebenso brauchen wird, sind Kat Menschiks Zeichnungen selbst. Sie werden alle, die nach Nixen suchen, trösten, ängstigen und immer wieder aufs Neue sehnsüchtig machen. Denn sie sind keine Phantombilder. Sondern der bislang schlüssigste Beweis für deren Existenz.
Das Plakat von Kat Menschik für das 40. Jubiläum der Anderen Bibliothek
