»Die Akte Scholz«: Einzigartige Einblicke in die Hinterzimmer der Macht
Herr Hollenstein, Herr Schröm, in den vergangenen Jahren haben Sie Dutzende Texte über Olaf Scholz und seine Rolle im Steuerskandal um die Hamburger Privatbank M.M. Warburg geschrieben. Warum braucht es da noch ein Buch?
Porträtfoto Oliver Hollenstein
Oliver Hollenstein: Weil der Fall einen einzigartigen Einblick gibt, wie Olaf Scholz tickt. Ein Buch bietet immer die Chance, die großen Linien zu erzählen – aus vielen Details ein Gesamtbild zu zeichnen. Der Kanzler kontrolliert seine Außendarstellung sehr sorgfältig, er und sein Team inszenieren ihn als seriösen, vernunftgetriebenen Staatsdiener. Die Botschaft: Sie können ruhig schlafen, wenn Olaf Scholz das Land regiert. Wir erzählen im Buch parallel Scholz‘ Weg an die Macht und sein Verhalten im Fall Warburg – und ich persönlich habe den Eindruck, dass die Leserinnen und Leser anschließend die Selbstinszenierung des Kanzlers etwas besser beurteilen können.
Sie meinen, die Leser und Leserinnen zweifeln danach an Scholz‘ Seriosität?
Porträtfoto Oliver Schröm
Oliver Schröm: Eine Meinung zu Scholz soll sich der Leser selbst bilden, wir erzählen die Fakten. Das spannende am Fall Warburg ist, dass viele typische Verhaltensmuster von Scholz aufscheinen: seine große Nähe zu Wirtschaftsbossen, sein taktisches Verhalten zur Wahrheit, seine Geringschätzung von parlamentarischer Arbeit. Wir zeigen auf, wie sein Team Journalisten beeinflusst, wie Scholz mit Niederlagen umgeht, wie er die Verwaltung behandelt. Unser Buch ist keine Scholz-Biografie, aber wer diese Muster sieht, ist über vieles, was politisch gerade aktuell geschieht, weniger überrascht.
Die Opposition hat sich gefreut über ihr Buch, die CDU hat nach Erscheinen eine Aktuelle Stunde im Bundestag dazu einberufen. Die SPD und das Bundeskanzleramt verbreiten dagegen, Ihr Buch enthalte nichts Neues, Sie hätten sich verrannt, würden Entlastendes ignorieren. Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Sie Scholz Unrecht tun?
Hollenstein: Natürlich, wir fragen uns ständig, ob wir jemandem Unrecht tun. Aber wir berichten Fakten. Ich verstehe, dass Scholz sich nicht über unsere Veröffentlichungen freut. Aber der Umgang mit uns erzählt mehr über Scholz und sein Team als über uns. Die SPD hat schon bei unserer ersten Veröffentlichung im Februar 2020 behauptet, das sei nichts Neues. Olaf Scholz selbst hat damals nicht einmal unsere Fragen beantwortet. Schließlich musste er einräumen, dass er sich – anders als zuvor behauptet – mit Christian Olearius, dem Mitinhaber der Warburg-Bank, getroffen hat, als gegen den schon ermittelt wurde. Die Veröffentlichungen als irrelevant abtun, nur einräumen, was eindeutig bewiesen ist, das wiederholt sich seither immer wieder. Das Erstaunliche ist: Scholz will alles rund um den Fall vergessen haben, ist sich aber sicher, alles richtig gemacht zu haben. Das glaubt ihm die Mehrheit der Deutschen nur inzwischen nicht mehr, ist das Ergebnis von Umfragen.
Steht denn nun in Ihrem Buch etwas, das öffentlich noch nicht bekannt war – und dem Kanzler gefährlich werden könnte?
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Hollenstein: Was dem Kanzler gefährlich wird, ist eine Frage der Politik und eventuell von mutigen Staatsanwaltschaften. Aber natürlich stehen neben dem erwähnten Gesamtbild auch viele Neuigkeiten im Buch. Über das eigenwillige Verhalten mancher Hamburger Beamten, über das merkwürdige Verhältnis der Hamburger Behörden zum Steuergeheimnis, über hilfsbereite ehemalige SPD-Größen mit lukrativen Nebenverdiensten, über Scholz‘ wichtigsten Spindoktor und seine Freunde in den Medien. Die wichtigste Nachricht haben aber zum Erscheinen viele Medien schon vermeldet: Wir können Scholz nachweisen, dass seine massiven Erinnerungslücken in dem Fall massiv unglaubwürdig sind. Er konnte sich nämlich anfangs sehr wohl noch an Treffen mit dem Bankier Christian Olearius erinnern – erst später kamen seine inzwischen berühmt gewordenen Erinnerungslücken auf.
Ihr Buch beeindruckt durch die spannende Rekonstruktion von Vorgängen, die sich jenseits der Öffentlichkeit abgespielt haben. Woher beziehen Sie Ihre Kenntnisse darüber?
Schröm: Aus diversen Quellen. Es ist uns gelungen, Einblicke in Steuer- und Verwaltungsakten der Hamburger Behörden zu bekommen, genauso in Akten der ermittelnden Staatsanwaltschaften in Hamburg und Köln. Insgesamt haben wir mehr als 50.000 Seiten vertrauliche Unterlagen gesichtet. Zudem haben wir natürlich versucht, so viele Insider und Experten wie möglich zu sprechen – und uns sehr genau die Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss in Hamburg angehört. Wir konnten so viele Vorgänge anhand von Aussagen, Emails, Telefonvermerken, Notizen, Gutachten sehr genau rekonstruieren. Aber die spektakulärste und interessanteste Quelle sind wohl die Tagebücher von Bankier Christian Olearius, ohne die der Fall niemals öffentlich geworden wäre.
Ein Bankier führt Tagebuch – ist das nicht ungewöhnlich?
Schröm: Ich weiß nicht, wie viele Bankiers in Deutschland Tagebuch führen. Wir waren jedenfalls überrascht. Christian Olearius setzt sich nahezu jeden Abend hin und hält in schwarzen Lederkladden die Ereignisse des Tages fest.
Unwilkürlich fragt man sich jetzt natürlich: Wie sind Sie an die Tagebücher herangekommen?
Schröm: Die Kladden wurden von Steuerfahndern bei einer Durchsuchung von Olearius‘ Privatanwesen beschlagnahmt. Der Rest ist Berufsgeheimnis.
Olaf Scholz war gerade in der öffentlichen Diskussion, weil das Kanzleramt offenbar gegen das Votum der zuständigen Ministerien und der Geheimdienste einen Verkauf von Anteilen an einem Terminal im Hamburger Hafen an einen chinesischen Konzern durchsetzen wollte. Spielt dabei Ihrer Meinung nach seine Vergangenheit als Hamburger Bürgermeister eine Rolle?
Hollenstein: Scholz hat jedenfalls schon als Hamburger Bürgermeister für eine stärkere Kooperation mit China geworben. Nun hat er im Sinne seiner Hamburger Parteifreunde gegen die versammelte Meinung der Fachministerien und gegen den Willen der USA und anderer westlicher Partner den Deal durchgedrückt. Scholz hat also die angeblichen wirtschaftlichen Vorteile des Hamburger Hafens höher bewertet als die außenpolitischen Bedenken, sich China nicht auszuliefern. Leserinnen und Leser unseres Buches, so meine These, werden von diesem Verhalten nicht sonderlich überrascht sein.